Trauerrede für Valeska M., geboren 1918 in Duisburg-Hamborn, verstorben 2016 in Duisburg-Bruckhausen, entstanden auf der Basis eines Gesprächs mit der Enkelin der Verstorbenen.
Wenn ich, Ada, meinem Gefühl für meine Oma Valeska eine Form gebe, es an eine frühe Erfahrung knüpfe, so wäre es für mich, für mich ganz persönlich, diese kleine, durchsichtige Röhre mit den geschliffenen Plastikperlen, die Oma Valeska mir schenkte. Die Perlen konnte man, ganz ohne Faden, einfach zu einer Kette ineinanderstecken – gelb, grün, blau, rot… – und sie stumpften mit der Zeit, von all den Colliers, die ich mir variierte, an den Schliffkanten weiß ab.
Jedes Mal, wenn Oma mich besuchte, brachte sie uns etwas mit. Glanzbilder oder etwas, das Musik machte. Ich erinnere mich, mit dem Nussgeschmack noch auf der Zunge, an ihren Kastenkuchen, den sie mit rosafarbenen Marzipanrosen verzierte und ich sehe ihre bestickten, gebügelten und gestärkten Leinenbeutel vor mir, in denen sie ihre kleinen Mitbringsel zwischen Duisburg und Oberhausen eifrig transportierte. Das war Oma Valeska für mich, nach meinen Jazzauftritten in herrlichen 90er-Jahre-Leggins, so unverwüstlich stolz auf mich und voll des Lobs, mit einem gebundenen Blumenstrauß für mich in den Händen.
Ich sehe heute noch ihre faltig-geschmeidige und elegant-schlanke Hand, wie sie Karten in einer Sütterlinschrift schrieb, die so niemand mehr beherrschen würde, wie sie Dinge beklebte und verpackte, mit Schleife, Blume und gehäkelter Umrandung. Und wenn sie nur immer anrief, oder, als sie es selbst nicht mehr konnte, meine Tante veranlasste, mir Schokolade zu besorgen. Es war Oma Valeska, die immer da war, die immer abhob, und die gefühlte zehn Mal Tschüss sagte, bevor sie auflegte.
Sie war manchmal schwer zu durchschauen, da war auch immer ein Stück Distanz, undurchdringlich und tabu. Wie die Perlen, die sie mir mitbrachte, so hatte auch Oma Valeska unterschiedliche Farben. Sie legte Wert auf ihr Äußeres. Was sie tat, war immer irgendwie exquisit. Sie hatte herausragende Talente, war viel herumgekommen und interessiert, immer akkurat und adrett. Sie konnte manchmal ein witziges, kleines, zähes Persönchen sein, so mit ihren West-Zigaretten und dem starken Kaffee, in ihrem heißgeliebten und viel zu großen Pelzmantel, der unter der perfekt sitzenden Dauerwelle nach der unvergleichlichen Mischung aus Parfum, Häkeldeckchenstärker und Taft roch. Und ja, Oma Valeska konnte manchmal auch weh tun, anderen, sich selbst, konnte mehr verletzten, als andere aushalten konnten, vielleicht weil sie selbst – durch Krieg, Tod, Verlust, Angst, Trauma und Verdrängung leiderprobt – so stark in ihrem Leben, hier im tiefsten Duisburg, hat sein müssen.
Als Kind faszinierte mich an diesen Perlen der Schliff im Plastik, diese von Oma Valeska ausgesuchte Brillanz für mich Kind, das Kostbare, mein geheimer Schatz, der in dem Kästchen mit den Strandmuscheln gerade gut genug aufgehoben war. Als Jugendliche wurden dann sinnbildlich die verbindenden Glieder, die die Perlen aneinander ketteten, von Belang: Denn um Oma Valeska schwelgte manchmal ein für mich undurchschaubarer Konfliktdunst. Aber wir, Oma Valeksa und ich, verhielten uns, letztlich, wie die Perlen, dranbleiben oder abfallen, für mehr Spielraum war irgendwie glücklicherweise kein Platz.
Später als junge Erwachsene nahm ich die weißen Schadstellen der Perlen war, begann, Oma Valeska weniger nur als Oma, sondern auch als Tochter, Mutter und Frau in ihren verschiedenen Rollen und Phasen ihres Lebens zu begreifen. Rückblickend würde ich ihr gern sagen, dass sie sich manchmal einfach sicherer hätte sein dürfen, was sie anderen bedeutete. Und heute, selbst Mutter, stecke ich die Perlen wieder zusammen und darf, vielleicht auch gerade mit einer Oma Valeska, die nun nicht mehr da ist, das Ganze sehen, das sie mir gewesen ist und immer bleiben wird.
Ich bin meiner Oma dankbar dafür, dass sie immer da war und dass sie diese Sicherheit und dieses unergründliche Wissen ausstrahlte. Dass sie an entscheidenden Stellen mutig Haltung bewahrte und dass sie diese Willenskraft hatte; bewundere sie dafür, dass sich so viel zutraute, dass sie andere sorgenfrei in Bezug auf sich sein ließ. Oma Valeska, selbsternannte ‚Trümmerfrau‘, die konnte in allem sich selbst helfen, beinahe bis zum Schluss. Und wie zum Trotz stirbt sie genau an unserem Hochzeitstag, an dem sie vor drei Jahren nicht hat teilnehmen können, wie sie mir noch eine Woche vor ihrem Tod bedauernd zum Ausdruck brachte. Auch das irgendwie symbolisch für ihr Leben, in dem der Verlobte in den Krieg zog und nicht mehr wiederkam.—
So wird sie nun jedes Jahr einmal mitheiraten, im weissen Kleid, das sie sich für diesen Moment jetzt gewünscht hat und uns erzählen: von dem Hauswirtschaftsmädcheninternat in Belgien und ihrem Bezirzen einflussreicher Männer, von guter Butter, aufwendigen Torten und ausgekochten Sandknochen; in ihrem Wortschatz, den ich öffnen werde, wenn ich vielleicht doch ein Mal im Leben, und wenn auch nur gedanklich, mit all ihren Kindern und Enkelkindern zusammen Brombeeren klauen werde, wir Hallodris und Thusneldas, die wir sind.
Meine Oma Valeska hat zeit ihres Lebens nie gut schlafen können. Ich wünsche ihr, von ganzem Herzen, dass sie nun in so tapfer verdientem Frieden ihre letzte Ruhe findet.