Nicht mehr wegen Manhattan

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Über ‚Christmas in New York City‘ als Plattitüde zu sprechen, ist Plattitüde ist Plattitüde ist Plattitüde, die jedem zu gehören scheint. Jedem, der noch zwischen den Feiertagen im Dezember Unterhaltungsshows folgt oder Grußkarten sendet. Doch aus Wilmas Mund klingen die geflügelten Worte über die Festzeit vor amerikanischer Kulisse so aufrichtig, so genussvoll erlebt, dass alle der reiselustigen Oberhausenerin und ihren Reiseerinnerungen aus den späten 80er-Jahren gespannt folgen.

Wir bestaunen die Bilder, die Wilma entstehen lässt: Große Reflexkugeln und echter Schnee, der falsche Leuchtreklamen etwas wattiert. Auch sie, die amerikanische ‚Falschheit‘, die Künstlichkeit ein Klischee, wie Wilma beteuert. In Nebensätzen bedauern wir mit ihr, dass ihre Beine heute aus anderen Gründen bettschwer sind, „nicht mehr wegen Manhattan, sondern wegen dem Alter!“

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Spanien, England, Dänemark, Norwegen, Schweden – Europa kenne Wilma in einzelnen Erinnerung an die Menschen, die sie dort getroffen hat. Sie könne die kollektive Wut auf die Griechen nicht nachvollziehen, Flüchtlinge überhaupt als solche zu erleben. In Russland und Tunesien sei sie gewesen, um auch heute im Alter noch so offen und interessiert sein zu können. Ein Brieffreund verbindet sie bis heute noch mit St. Petersburg. Per Schiff sei sie über die Seen geschaukelt, „dort, wo es immer hell ist“, und auch Moskau werde ihr niemals dunkel.

Herr T. sagt, er habe Urlaub oft gemacht, um Verwandte zu besuchen. Das Abschlussfest der Realschule, die er besuchte, stehe ihm noch ganz präsent vor Augen. Mit zwei Bussen seien die Kinder zum Bodensee gereist. Das war sechs Jahre nach dem Krieg.

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„Auf einer Eisfläche vor dem Rockefellers Building, da hat ein Engel gestanden, sooo groß“, verdeutlicht Wilma, indem sie auf die obere Kante der Holzvertäfelung zeigt, eine der Wände der Gute Hoffnung leben, in der sich die Senioren heute zum Erzählen und Erinnern getroffen haben. „Es ärgert mich“, schnaubt Wilma etwas aufgeregt mit schwappendem Kaffee in der Hand, „dass die immer behaupten, der größte Weihnachtsbaum steht in Dortmund!“

In Dortmund, im tiefsten Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen in Deutschland in Europa würden nämlich jährlich, wenn zuversichtlich kein Schnee liegt, Tannen aus dem Saarland geliefert, erzählt Wilma. Und diese Bäumchen seien so mickrig, dass sie schon wieder als Äste durchgehen können: Die halbstarken Gehölze mimen also mit ihren Stämmen, Ästen und Zweigen die Äste, Zweige und Nadeln einer großen Tanne. Von der Größe eines Dortmunder U schummelt man sich ein bisschen Amerika in den Pott – eine pieksende Spitzfindigkeit von Weihnachtsbaum. Und das in Dortmund! Während dort, vor dem Rockefellers, „eine richtige Tanne“ stehe, eine aus Kanada, klärt uns Wilma auf.

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Israel habe ihr eine Gänsehaut beschert, nein, „eine richtige Elefantenpelle“, trompetet Wilma in die Runde, die noch einmal mit ihr quer um den Erdball fliegt: Gekniet und gebetet hätten die Pilger dort, wo vor mehr als 2000 Jahren Jesus in der Krippe gelegen hat. „Da stehen noch die Original-Olivenbäume, an denen Jesus entlanggelaufen ist!“ In Tel Aviv – oder war es Haifa? – habe Wilma fotografieren wollen, als sie aus dem Flugzeug ausstieg, für ihr Album, denn schließlich habe sie ja für die Reise gezahlt!

Gedurft hat sie nicht.

In der Felsenstadt Petra, im heutigen Jordanien, wo die Nabatäer ihre Wohnungen und Grabmäler aus dem Felsgestein in die Waagerechte meißelten, sei Wilma durch eine zwei Kilometer lange Schlucht gelaufen. „Und als ich aus dieser Schlucht herauskam, sah ich ein riesenhaftes Theater“. Wilma lässt sich Zeit, nach einer geeigneten Lautmalerei zu suchen, die ihren spontanen Eindruck von damals präzise verlauten könnte. Angesichts der Kulturdenkmäler Petra Stadts habe Wilma nur noch ein „Hooooo-chh“ entfahren können. Das Gefühl, überwältigt zu werden, bereite ihr immer noch eine Gänsehaut. Doch heute könne sie „nur noch Kurzstrecke, acht Tage Thüringen oder, wenn´s hoch kommt, das Mittelmeer“.

In Oman habe man Fische auf der Straße essen können. Der Geruch von Muskat liege Wilma heute noch in der Nase. In Erinnerung an Sevilla ‚hört‘ sie die Mücken ‚jucken‘ und auch andere Stechereien mit Messern durch Kehlen sich und anderen gebannt erzählen. Ihr selbst habe man in Portugal das Auto aufgebrochen, um den Beutel mit Schmutzwäsche zu stehlen. Die Paella schmeckte daraufhin auch etwas nach Frottee; Material des einzigen Kleides, deren Gummiband Wilma dann auch noch riss. Auf das routinemäßige „Wem gehört!“ der Polizei habe die Unternehmungslustige außer einem Lachen nicht so schnell etwas erwidern können. Wilmas Hab und Gut war weg, doch die Erinnerung sollte stark bleiben: „Da hatten wir nur noch die Escudo und sonst nichts“.

Hier bei uns in Deutschland sei man so langweilig, sagt Wilma. Auch das ein Allgemeinplatz auf dem Globus, sagt sie nicht. Da sei sie damals eben einfach mal in die USA geflogen, Manhattan und New Orleans, weil ihr Mann den Blues so liebte. Und zusammen öffnete man gern Türchen. Nicht nur im Advent.

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