Schweinchen auf der Leiter, Cord-Reparaturen und Jäger-Service

Protokoll von Irmi, Erzählcafé Streuselkranz, an einem Tag im Herbst:

Heute steigen wir mit einem Skandal ein! Er ereignete sich am 08. August 2019, als ein paar der Senior*innen der Gute Hoffnung – leben zum gemeinsamen Lavendelsäckchenbasteln zusammen saßen und Anne uns alle mit einem roten Bindfaden in Verblüffung versetze!

Das alte Spiel ‚Schweinchen auf der Leiter‘ hat schon so manches Zweiergespann an den Rand des Wahnsinns getrieben, weil das Schweinchen einfach nicht erscheinen wollte. Eher hatte man dutzende von Knoten im Faden, Schweiß an den Fingern und die Ungeduld wuchs. Und Anne? Die nutze die Gunst der Handarbeitsrunde, nahm die Ausgangsposition auf die Hände und schwupp – einmal die Hände gedreht: Schweinchen auf der Leiter!

Tief beeindruckt hat uns Anne damit, Erinnerungen wachgerufen und uns in die Geheimnisse ihres Geschicks eingeweiht. ‚Schweinchen auf der Leiter‘ haben alle von uns gespielt, als wir noch Kinder waren. Dieses Abhebespiel, dessen Hauptdarsteller in der Skrupellosigkeit des Nachkriegsmangels ein geschlachtetes Schwein darstellen sollte, das man auf eine Leiter gehängt hatte. Auch ‚Pinneken hacken‘ und ‚Messerwerfen am Straßenrand‘ waren uns das, was wohl ‚Fortnite‘ heute den Jugendlichen sein muss.

„Hinkeln habe ich geliebt!“, entfährt es Iggi mit glänzenden Augen. Und das ist ein Spiel, dass Kinder auch heute noch lieben und mit Kreide über die Straßen des Ruhrgebiets tradieren. Da sind sich die Frauen einig. Mit einem Blick, der sagt, dass am Ende alles gut wird und nichts ganz verloren ist. „Vor allem dann, wenn sie in Spielstraßen wohnen, wo die Autos langsam fahren“, flüstert Caren behutsam, die selbst, als jüngere Teilnehmerin des Streuselkranz‘, zwei mittelgroße Jungs hat.

„Was erzählen denn eure Kinder und Enkelkinder, wenn sie Spiele mit euch erinnern?“, dreht Sarah die Perspektive. Die von Doreens haben nach eigener Erzählung noch in guter Erinnerung, dass ihr Opa, Doreens inzwischen verstorbener Mann, sich mit ihnen immer im Origamifalten übte. Er beherrschte das Schiffchen ebenso gut wie die Vorstufe des Frosches, aber auch für Kraniche und Papierflieger unterschiedlicher Propellerstärke ging ihm an verregneten Sonntagen niemals die Geduld aus.

„Ich habe mit meiner Enkelin nicht groß gebastelt oder Handarbeiten erledigt“, beginnt Helen, „aber wenn sie mal ein Loch in ihrer Cordhose hatte, konnte ich ihr zeigen, wie man ein Stück Wolle ähnlicher oder bestenfalls gleicher Farbe in klitzekleine Wollpartikel schneiden, mit Textilkleber vermengen und mit dem Woll-Kleber-Brei die abgeschürfte Mulde hat auffüllen können“, berichtet Helen so präzise wie das gestickt-strickte Stäbchenmuster eines Fortgeschrittenenheftes, das längst nicht mehr gedruckt wird.

„Offen gestanden“, hebt Iggi an, so, als wolle sie uns etwas beichten, „hatte ich immer nur eine Blechdose mit einigen wenigen Stiften im Haus, die auch nie angespitzt waren“, fährt die kleine blonde Dame mit dem sanften Pfirsichton in der unsäglich faltigen, aber irgendwie gesund-festen, fröhlichen Gesichtshaut fort und entschuldigt weiter, „meine Kinder haben nie gemalt, aber meine Enkelin vermochte alles zu zaubern aus Weiß, Gelb, Orange, Rot, Lila, Grün und Blau, am liebsten Regenbogen und Frischkäsebrot, haha, und ich habe ihr dann meist auch gleich eines gemacht.“

Als die Damen ihre Erinnerungen mit dem letzten Schluck koffeinfreien Kaffee verkosten, bis wir uns das nächste Mal zum Erzählcafé im Café Bistro Jahreszeiten treffen, erinnere ich mich selbst an meine Oma. Sie deckte immer diese wellige Keramik, als tiefe Teller, flache Essteller oder Unterteller „für kleine Naschereien“. Und wenn man sich mit der Gabel den anstrengenden Weg durch die Erbsen und Möhren gebahnt hatte, wurde unter dem sämigen Kartoffelpüree, das nur sie in dieser Weise zubereiten konnte, der Jäger sichtbar.

Und mit den letzten Schmorzwiebeln, kross und süß, auch sein Hund.

 

 

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