Auch Eichhörnchen haben manchmal ihre lichten Momente

Protokoll von Irmgard. Erzählcafé Streuselkranz. 16. August 2019.

Anwesende: Lotte, Iggi, Doreen, Karin, Hanne, Helen, Irmgard, Caren.

Es gibt Kaffee. Mit und ohne „Umdrehungen“. Das ist so unser ‚Insider‘ geworden für „mit Koffein“ oder „ohne Koffein“, im Sommer mit Vanilleeis der Kaffee, im Winter auch mal der Rum mit einem Schuss Tee, zwinker zwinker. Caren kredenzt leckeren Mohnkuchen und „Das Bunte“, Donauwellen mit echtem Zartbitterkakao, Vanillepuddingcreme und Schattenmorellen, zu 99 Prozent entsteint. Aber wichtig sind nicht die Plattitüden. Nicht egal sind die Bedeutungen, die darin für uns stecken. Unsere Gemeinschaft in einer komplizierten Gesellschaft, in der wir füreinander da sein können. Mit 60, 70, 80, 90 und 50.

 

 

Wie immer tauschen wir uns über das > a k t u e l l e   T a g e s g e s c h e h e n < aus. Parkgebühren für Anwohner sind in Oberhausen-Sterkrade geplant. Das reicht uns für Gesprächsstoff, so etwa für vier Monate. Aber unsere Wohnsituation, hier in der Guten Hoffnung, genießen wir immer noch ganz wunderbar! Alles liegt so schön nah beieinander, wenn sich das Alter in immer schwerer gestrickten Alpakaschichten um den zerbrechlichen Leib legt. Einkaufen können die meisten von uns noch alleine, denn Ärztinnen und Ärzte sind da, die Zeit für uns haben, Vögel, die ihre Schätze in die Häuschen vor unserem Fenster tragen und die sich dabei von uns beobachten lassen.

Angenehm abgeschirmt dürfen wir uns wissen, so hinter diesen mintgrünen Fassaden, die hinter dem Sonnenschutz einer Architektur von 2010 ein bisschen von ihrer Frische eingebüßt haben. Aber sie filtern auch, den Verkehrslärm der Zubringer und Stadtautobahnen, die Ganoven und Staubsaugervertreterinnen raus. Leider finden unsere Besucher uns manchmal schlecht, so urban wir auch sind im Vergleich zu den Alten auf dem Lande. Zu denen kommt jeden Tag ein Ambulanter Pflegedienst, dessen Zeit bemessen ist.

Iggi hat schon ihre Erfahrungen mit Google Maps gemacht, als sie sich damals, so vor fünf Jahren, entschied, die Reliquien ihres Lebens auf 40 Quadratmeter zusammenzurücken (inklusive Beinscheibe und Wirsingsrouladen, eingequetscht zwischen den Vichymöhrchen und dem Fürst Pückler-Eis „in diesem winzigkleinen Gefrierfach!“ Geduldig wartete Iggi auf den Möbeltransporter, der in Sichtweite des terrakottafarbenen Neubaus der Verwaltung der Gute Hoffnung – leben seine Kreise zog. Iggi lotste den Umzugswagen dann mithilfe eines Anrufes über das erste Mobiltelefon ihres Lebens in ihr neues Zuhause. Sie hatte das damals schon erinnert an den ‚Heißen Draht‘ aus der 100.000-Mark-Show, die seit 1993 von Ulla Kock am Brink moderiert wurde. Immerhin würden die Soaps mit umziehen können, betont auch Hanne uneingeschränkt: „Kochplatte ist egal, aber wehe, der Fernseher ist hier kaputt!“

Doreen ist der Zugvogel unter uns Frauen. Sie verbringt die Wintermonate jedes Jahr in der Sonne. Dieses Jahr wird es Tunesien sein, letztes Jahr genoss sie Portugals Küstenlandschaft von Alentejo. „In welchen Gewässern muss ich eigentlich vor Krokodilen Angst haben?“, will Helen wissen, und Lotte antwortet ihr: „Mein Enkel hat neulich so ein Spiel mitgebracht, in dem man mit einem sprechenden Stift die Tiere in ihre Verbreitungsländer puzzeln konnte, und jetzt kann ich dir sagen: Wo Haie sind, gibt es keine Krokodile, haha.“

Nur in Florida sei das etwas anderes, differenziert Doreen für uns, wo Kreuzfahrtschiffe jene Reisenden die Sehenswürdigkeiten direkt vor die Nase stellten, die nicht mehr laufen wollten oder könnten. Aber wenn man nicht gerade Golf spiele und in irgendeinem Tümpel nach seinem verschossenen Ball tauchen müsse, frotzelt Doreen, könnten einem auch dort die Reptilien nicht das Leben kosten.

Über Iggis Mücke, mit der sie ein Schlafzimmer hat teilen müssen, widmen wir uns, wie irgendwie gar nicht selten im Erzählcafé, den Bienen und Hummeln, die zielgerichtet unseren Innenhof ansteuern. Dort hat jemand aufmerksam Wildkräuter und duftende Herbstblumen gepflanzt. Es gibt aber immer noch zu wenig ‚Unkraut‘. Und wenn doch mal zaghaft eine Blüte ihren Kelch entfalten möchte, kommt sofort die Population an Kaninchen, die alles abnagt. „Datt Ökosystem kannse inzwischen einfach inne Tonne kloppen“, poltert Lotte. Im Revier sind die Kaninchen beinahe eine Plage, den Ratten der Lüfte am Sterkrader Tor auf dem Fuße folgend. Nun verbreitet sich das venezianische Flair auch in der Guten Hoffnung. Seit nämlich das alte, marode Gebäude gegenüber abgerissen wurde, das den Nagern wie Tauben gleichermaßen ein Heim geboten hatte, suchen sie hier eine neue Bleibe.

„Aber es gibt ja auch possierliche Nager“, wirft Helen ein. Eichhörnchen zum Beispiel. Obwohl die manchmal ganz schön vergesslich wirken, wenn sie so hektisch und scheinbar ziellos nach irgendwelchen Nüssen graben, die sie bevorratet haben.

Und Iggi sagt:

„Die passen mit ihrem löchrigen Gedächtnis irgendwie gut hierher. Und manchmal haben auch Eichhörnchen ihre lichten Momente.“

 

 

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