Die Blagen des Reviers

maedchen

 

„Walda“ habe ihre Mutter irgendwo aufgeschnappt. Der weiche und doch standfeste Mädchenname gehörte zu blonden Haaren und teichblauen Augen. Augen, die Kreuzspinnen verfolgt haben, wie sie so ihre Wege über den nackten Kinderoberschenkel krabbelten. Augen, die auch schon mal noch blauer werden konnten rund um die Brauen, wenn Walda wieder einmal den sausenden Fäustchen der Nachbarsjungen in einem selbstgebauten Boxring stoisch die Wangenknochen hinhielt.

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Indianer haben sie gespielt und Stände aufgebaut, um die eigenen Kräfte gegen Ärmchen zu drücken, die noch schwächer waren als die eigenen. Muskeln spielten für Anerkennung und ein bisschen Unterhaltung, bis es der Mutter irgendwann der zerfetzten Kleidchen genug war und ihr bedauernd vor dem Töchterchen entfuhr: „Ich habe mir ein Mädchen gewünscht und habe drei Jungs bekommen, und Du, (der Walda), bist ja noch schlimmer als die anderen beiden Blagen!“

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Die Mädchen seien so fein gewesen, gibt Walda beinahe ein bisschen entschuldigend an, da habe sie sich gelangweilt. Deckchen sticken und ein Bein übers andere schaukeln ist auch heute kein Zeitvertreib für die Ehrenamtliche des Quartiers, der Inhaberin eines Floristikladens mit dem einfachen und genialen Namen ‚Blümchen‘. Lieber betreut Walda Menschen mit Demenz im Quartier Gute Hoffnung leben in ihrem Alltag. Als eine von mittlerweile zwanzig freiwilligen Helfern macht sie es Alleinstehenden, die einsam sind und Hilfe brauchen, möglich, in ihrem Zuhause alt werden zu können, „weil das so gehört!“.

Heute wie damals hat Walda Zeichen gesetzt: Rauchzeichen geblasen, Bambusstiele aus dem Hühnerzaun gezogen und trockene Kamillenblüten daraus geraucht, Lagerfeuer züngeln lassen und sieben Wespenstiche mit dreckigen Fingernägeln aufgekratzt: „Wir haben ihre Nester ausgeräuchert.“ Empathisch steche ich die Augen zusammen, sodass Walda mir wie nachholend versichern will: „Naja, es hat ja eigentlich geheißen, dass sie morgens nicht rauskommen, wenn es noch neblig ist.“ Ich frage Walda zurück: „Du sagst, ‚es hat für dich geheißen.‘ Hat man euch viel über die Natur erzählt?“ „Ja“, sagt Walda, „Das war unsere tägliche Realität im Kohlenpott der Nachkriegsjahre“.

Was hat sich seither geändert zwischen Jungen und Mädchen, die spielen? Kinder, die heute ihre Welt entdecken wollen, müssen sich anstrengen. Vorrichtungen gegen den Kinderstreich sind so ausgetüftelt wie ihre Bezeichnungen lang sind. Ich denke an Sicherungskomplexe für Küche, Badezimmer und Steckdosen, während Walda mir von verlassenen Bunkern und Gasmasken erzählt, die sie als Siebenjährige gefunden und, völlig klar, sich sogleich aufgesetzte habe.

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